1. April 2022

Wenn Kohle gut fürs Klima ist

| von Dr. Nikolas Hagemann

Um das Ziel einer klimaneutralen Schweiz bis spätestens 2050 zu erreichen, genügt es nicht, unsere Emissionen auf ein Minimum zu reduzieren. Es wird ein Rest an unvermeidbaren Emissionen bleiben. Diese Treibhausgase müssen der Atmosphäre wieder entnommen und dauerhaft gespeichert wird. Man spricht hier von sogenannten negativen Emissionen oder von der Schaffung von Kohlenstoffsenken. Ein Beispiel für eine solche Senke ist Pflanzenkohle.

Nikolas Hagemann ist promovierter Geoökologe und forscht bei Agroscope1 und dem Ithaka Institute2 zu diesem Thema. Im Interview beantwortet er die wichtigsten Fragen zur Pflanzenkohle.

Herr Dr. Hagemann, was versteht man unter Pflanzenkohle und wie kann sie dazu beitragen, die Klimakrise einzudämmen?
Pflanzenkohle entsteht durch Pyrolyse von Biomasse wie zum Beispiel Holzabfällen. Bei diesem Umwandlungsprozess wird das pflanzliche Material unter weitgehendem Luftabschluss bei mindestens 400°C thermisch behandelt. Dabei entsteht ein poröses, kohlenstoffhaltiges Material. Dieses enthält rund 30−50 Prozent des Kohlenstoffs, den die Pflanze während ihres Wachstums in Biomasse umgewandelt und so der Atmosphäre entzogen hat. Wenn man diese Kohle nun «stofflich» verwertet, d.h. sie nutzt, ohne sie zu verbrennen, so bleibt der Kohlenstoff langfristig gespeichert. Überliesse man die Pflanze dem natürlichen Verwesungsprozess, würde der Kohlenstoff viel schneller wieder in Form von CO2 in die Atmosphäre zurückgelangen.

Gleichzeitig entsteht beim Pyrolyse-Vorgang auch Überschusswärme, die zum Beispiel in ein Fernwärmenetz eingespeist oder als industrielle Prozesswärme genutzt werden kann. Die Herstellung von Pflanzenkohle erzeugt also erneuerbare Energie.

Pflanzenkohle kann vielfältig eingesetzt werden. Indem man die Pflanzenkohle in die Erde einbringt, kann sie dem Boden helfen, Feuchtigkeit und Nährstoffe zu speichern und unterstützt den langfristigen Humusaufbau. Pflanzenkohle von besonders hoher Qualität kann in der Tierfütterung eingesetzt werden, um die Gesundheit der Tiere zu fördern und so die Tierarztkosten merklich zu senken. In Städten werden Bäume mit Hilfe von Pflanzenkohle saniert oder neu gepflanzt. Gerade entdeckt auch die Baustoffindustrie Pflanzenkohle als wertvolles Additiv.

Wie gross ist das Klimapotential von Pflanzenkohle für die Schweiz?
Eine genaue Zahl zu nennen, ist hier nicht möglich. Es gibt zwei Hauptfaktoren, die das Potential der Pflanzenkohle begrenzen: Zum einen braucht es noch eine Weiterentwicklung der Technologie, bis Pyrolyse-Anlagen im grossen Stil und vor allem auch günstig gebaut und betrieben werden können. – Da sind wir bereits auf gutem Weg. Zum anderen ist der Rohstoff Biomasse nur begrenzt verfügbar – denn Pflanzenkohle als Klimatechnologie, das sogenannte PyCCS – Pyrogenic Carbon Capture and Storage – beginnt nicht mit der Pyrolyse, sondern der Photosynthese der Pflanzen, die für uns das CO2 der Atmosphäre entziehen.

Grundsätzlich ändert auch die Pflanzenkohle nichts daran, dass wir unsere Treibhausgasemissionen massiv senken müssen. Das European Biochar Industry Consortium (EBI) geht davon aus, dass wir europaweit etwa ein Drittel der nicht vermeidbaren Emissionen durch Pflanzenkohle kompensieren können. Das entspricht etwa 5 Prozent des aktuellen Treibhausgasausstosses in Europa.

Warum wird dieses Potential von Pflanzenkohle aktuell noch nicht voll ausgeschöpft und wie könnten wir das ändern?
Biomasse umfasst eine Vielzahl pflanzlicher Erzeugnisse, die unterschiedlich genutzt werden können. Holzabfälle können zum Beispiel auch direkt verbrannt statt pyrolysiert werden. Beim Verbrennen wird mehr Energie erzeugt, weshalb man das oft bevorzugt. Auf der anderen Seite entfallen dabei natürlich die erwähnten Vorteile der Pflanzenkohle.

In der Schweiz ist bisher nur Holz als Ausgangsstoff für die Produktion von Pflanzenkohle für die Landwirtschaft zugelassen. Das sollte man auf jeden Fall überdenken. Denn in der Land- und Forstwirtschaft fallen viele weitere pflanzliche Reststoffe an, die man pyrolysieren und anschliessend stofflich nutzen könnte. Dazu gehört zum Beispiel auch Stroh. Dieses sollte zwar nicht vollständig vom Feld entfernt werden, um die organischen Bodensubstanz zu erhalten. Doch wesentliche Anteile des Strohs könnten ohne ökologische Nachteile pyrolysiert werden. Daneben fallen in der Nahrungsmittelverarbeitung unzählige Reststoffe an – Spreu, Kaffee-Häutchen, Kartoffelschalen und vieles mehr.

Vermeintliche Nutzungskonflikte wie beim Stroh bestehen bei fast jeder Art von Biomasse. Oftmals sind es aber auch nur Scheinkonflikte. Die Weiterverarbeitung zu Pflanzenkohle wäre in vielen Fällen klar vorteilhaft. Es braucht staatliche Mechanismen und Rahmenbedingungen, damit die Herstellung von Pflanzenkohle einfacher und für Unternehmen wirtschaftlicher wird. Ausserdem braucht es noch mehr Forschung mit dem Ziel, konkrete Anwendungsempfehlungen für Pflanzenkohle abzugeben.

Was sind die Vor- und Nachteile von Pflanzenkohle gegenüber anderen Negativemissionstechnologien?
Das grösste Risiko ist sicher der Raubbau an der Biomasse. Wir müssen durch kluge Regulierung vermeiden, dass Pflanzen ausschliesslich zur Gewinnung von Biomasse auf Flächen angebaut werden, die für den Nahrungsmittelanbau oder den Naturschutz vorgesehen waren. Auch Holz sollte primär zum Bauen verwertet werden. Denn verbautes Holz entzieht der Atmosphäre ebenfalls CO2 und kann ausserdem klimaschädliches Material wie Beton und Stahl ersetzen. Aber die Schweiz ist hier aber bisher auf einem guten Weg – die Pflanzenkohleproduktion stützt sich bei uns vor allem auf Reststoffe aus der Landschaftspflege.

Gleichzeitig muss die landwirtschaftliche Biomasseproduktion gesteigert werden, zum Beispiel durch die Förderung von Agroforst-Systemen, d.h. der Integration von Bäumen als Strukturelemente auf Äckern und Wiesen. Diese bieten an sich bereits Vorteile für Landwirtschaft und Biodiversität und erzeugen Biomasse, ohne mit dem Anbau von Nahrungsmitteln zu konkurrieren.

Der grosse Vorteil von Pflanzenkohle ist, dass sie als einzige Negativemissionstechnologie bereits heute kommerziell funktioniert. Sie wird also am Markt angeboten und gekauft – sowohl die Pflanzenkohle als Produkt selbst als auch die Zertifikate über die Kohlenstoffsenke. Andere Technologien wie Direct Air Carbon Capture and Storage (DACCS) sind zwar vielversprechend und werden in einigen Jahrzehnten eine entscheidende Rolle spielen. Aber wir müssen bereits jetzt damit beginnen, soviel CO2 wie möglich aus der Atmosphäre zu entfernen. Pyrolyse-Anlagen sind da aktuell die beste Lösung, weil sie eben bereits heute sehr gut funktionieren und auch ökonomisch sinnvoll sind.

Nikolas Hagemann
Promovierter Geoökologe und Forscher bei Agroscope1 und am Ithaka Institute2

1 Agroscope ist das Kompetenzzentrum des Bundes für landwirtschaftliche Forschung und ist dem Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) angegliedert.

2 Das Ithaka Institut ist ein internationales Netzwerk für Kohlenstoff-Strategien und Klimafarming. Es ist bekannt für seine Expertise im Bereich der Herstellung, Charakterisierung, Zertifizierung und Anwendung von Pflanzenkohle.

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