Die Klimapioniere
im Jahr 2022

Die Klimapioniere
im Jahr 2022

Die Klimawende kam nicht aus dem Nichts. Dass die Schweiz heute im Jahr 2050 klimaneutral ist, haben wir vielen engagierten Pionierinnen und Pionieren aus den 2020ern zu verdanken. Sie waren es, die vorangingen, um der fossilfreien Zukunft den Weg zu ebnen. Lernen Sie jetzt einige dieser Menschen und Projekte kennen.

Per Klick online zum passenden Bauteil

Wussten Sie, dass die Baubranche für etwa 30 bis 40 Prozent des gesamten Abfalls in der Schweiz verantwortlich ist? Bauteile und -materialien werden nach Gebrauch grösstenteils entsorgt – obwohl sie noch voll funktionstüchtig sind.

Die Plattform «useagain.ch» ermöglicht hier einen Wandel richtung Kreislaufwirtschaft: Vom Backofen über Dachfenster bis zu Stahlträgern kann man auf dem digitalen Marktplatz unzählige einwandfreie Bauteile kaufen oder selbst anbieten. «Unser Ziel ist es, dass in der Schweiz kein einziges intaktes Bauteil mehr auf dem Müll landet!», erklärt Julia Meyer, die sich mit ihrem Team ehrenamtlich für usegain.ch engagiert.

Was useagain.ch besonders macht: Auf der Plattfrom kann man selbständig ein Inventar aller Bestandteilen eines Gebäudes erstellen. Sobald ein Bauelement nicht mehr gebraucht wird, kann man es mit einem Klick zum Verkauf freigeben. 

Useagain.ch richtet sich nicht nur an Akteure der Baubranche, sondern auch an Architekten, institutionelle Anleger und Behörden. «Durch die Nutzung der Plattform können alle etwas gegen die Ressourcenverschwendung in der Bau- und Immobilienbranche tun», meint Meyer. Damit die Plattform ihren Zweck erfüllen kann, muss sie jedoch von möglichst vielen Menschen genutzt werden. 

In den nächsten Monaten wird useagain.ch um weitere Funktionen erweitert. Geplant ist unter anderem ein Bauteil-Matching-Tool, das Suchanfragen automatisch mit passenden Angeboten zusammenführt. Auch die Organisation von nötigen Lagerkapazitäten, Transport und Demontage soll automatisiert werden. Damit sollen möglichst viele Hürden abgebaut und die Wiederverwendung von Bauteilen zu einer Selbstverständlichkeit werden.

Mehr zum Klimapionier «useagain.ch» unter: www.useagain.ch

Wohnen im Kraftwerk

«Kaum jemand kann sich vorstellen, dass dieses Haus mit Solarenergie betrieben wird», sagt Architektin Erika Fries von huggenbergerfries Architekten. Das Mehrfamilienhaus Solaris in Zürich-Wollishofen vereint hohe gestalterische Ansprüche mit moderner Solartechnologie.

Die gesamte Gebäudehülle dient der Solarstromgewinnung: Sowohl die Fassade als auch das Dach sind mit insgesamt 1’300 photovoltaischen Elementen bedeckt. Von aussen betrachtet erkennt man jedoch nichts, da ein auberginefarbenes Gussglas die Solarinstallation verdeckt. Zwar reduziert dieses Glas die Stromproduktion um 20 Prozent, dafür kann sich das Wohnhaus ästhetisch in seine Umgebung einfügen.

Die solare Hülle entstand aus der Zusammenarbeit zwischen der Hochschule Luzern mit den Photovoltaik-Spezialisten Sundesign und Ertex. Seit der Fertigstellung des Hauses 2018 liefert die Hülle zweimal so viel Strom wie für den eigenen Verbrauch, inklusive dem in der Miete dazugehörigen Elektroauto.

Installiert hat die Gebäudehülle die Scherrer Metec AG. Für den Geschäftsführer und Mitinhaber der Firma ist die Photovoltaikhülle eine konsequente Weiterentwicklung der klassischen Fassadentechniken in Richtung energieeffizientes Bauen – also in Richtung Zukunft: «In wenigen Jahren werden diese kleinen Kraftwerke normales Baumaterial für Fassaden sein.»

Das Mehrfamilienhaus geht als gutes Beispiel voran, wie sich die Nutzung von Sonnenergie und Solararchitektur in städtebaulichen Projekten ergänzen können.

2018 erhält es dafür den Schweizer Solarpreis.

Mehr zum Klimapionier Solaris Haus: www.hbf.ch

Bauen aus Recyclingmaterial

«Wir kämpfen für die Schonung der natürlichen Ressourcen und die Reduktion der Bauabfälle, indem wir das Bauen im Bestand und die Wiederverwendung von Bauteilen fördern», sagt Architektin Barbara Buser.

Das von ihr und Eric Honegger 1998 gegründete Architekturbüro baubüro in situ setzt sich seit über 20 Jahren für die Wiederverwendung von Architekturelementen und Umbau, Wiederaneignung und Sanierung von Gebäuden ein.

Heute beschäftigen die beiden Pioniere im nachhaltigen Bauen in ihren «Upcycling-Architekturbüros» ungefähr 60 Mitarbeitende in Basel, Liestal und in Zürich.

Durch die Weiter- und Wiederverwendung von Bauteilen, Gebäuden und ganzen Arealen kann ein grosser Anteil von Treibhausgasen vermindert werden. Im Atelierhaus K118 in Winterthur verwendete das baubüro in situ etwa mehr als die Hälfte des Baumaterials aus abgebrochenen Bauten. «So konnte im Vergleich zu einem Neubau 60 Prozent der CO2-Emissionen eingespart werden», sagt Buser.

«Unsere Motivation für all unsere Projekte ist die Hoffnung, dass wir es noch schaffen, unsere Zivilisation auf diesem Planeten zu retten», sagt die Architektin.

Baubüro in situ hat bereits mehrere Auszeichnungen erhalten. 2021 etwa den renommierten Stahl- und Metallbaupreis Prix Acier sowie den Global Holcim Awards for Sustainable Construction, der als den weltweit bedeutendsten Wettbewerb für nachhaltiges Bauen angesehen wird.

Mehr zur Klimapionierin baubüro in situ AG: www.insitu.ch

Klimafreundliches Beton

Was wäre, wenn Beton zur Bewältigung der Klimakrise beitragen könnte? – Diese Frage stand am Anfang von neustark, ein vor drei Jahren gegründetes Spin-off der ETH Zürich. 2020 war neustark das erste Unternehmen, das Betonproduzenten die Speicherung von CO2 in Beton ermöglicht. Die Technologie hinter dem aktuell klimafreundlichsten Beton der Schweiz: CO2 in den Poren und an der Oberfläche von Betongranulat als Kalkstein binden. Dieses aufgewertete Granulat wird dann als Sand- und Kiesersatz in frischen Beton eingesetzt. Dank diesem aufgewerteten Granulat ist eine Reduktion des Zements in frischem Beton möglich und das bei gleichbleibenden Eigenschaften. Damit verbessert das Unternehmen die Klimabilanz von Frischbeton um etwa 10 Prozent.

Die beiden Startup-Gründer Johannes Tiefenthaler und Valentin Gutknecht geben sich damit aber noch nicht zufrieden. 2025 soll der erste Beton auf den Markt kommen, der so viel CO2 bindet, wie in der Produktion emittiert werden. Somit würde klimaneutraler Beton tatsächlich Realität. Tiefenthaler und Gutknecht sind überzeugt, dass es sich hierbei um eine Geschäftsmöglichkeit mit Zukunft handelt. «Über 90 Prozent der Personen, denen ich bisher in der Branche begegnet bin, sehen in der Speicherung von CO2 in Beton eine grosse Chance – sowohl aus ökologischer wie aus wirtschaftlicher Perspektive», sagt Tiefenthaler.

Um die Ziele des Pariser Klimaübereinkommens zu erreichen, brauche es aber noch viele weitere Ansätze, so Tiefenthaler. Es bleibe eine grosse Herausforderung, das vom Bund angestrebte Wachstum von Negativemissionstechnologien zu erreichen. Die Jungunternehmer verstehen neustark als Teil der Lösung. Dass ihre Technologie und ihr Geschäftsmodell vielerorts auf Interesse stossen, stimmt die beiden optimistisch. «Auf dem Weg Richtung Klimaneutralität werden sich uns viele neue Möglichkeiten eröffnen, die eine spannende Zukunft versprechen.»

Mehr zum Klimapionier neustark: www.neustark.com

Wohnhäuser aus Emmentaler Holz

Im Zimmereigewerbe ist die Tradition der Wandergesellen bis heute am Leben geblieben. Auch in der Zimmerei Hirschi in Trub im Emmental kommen seit Jahren regelmässig Zimmerleute auf Wanderschaft vorbei. Einer davon war der Appenzeller Stefan Nägeli. Er machte Geschäftsführer Jürg Hirschi mit der Produktion von Wandelementen aus Massivholz vertraut. Begeistert von diesem Bausystem gründeten erfahrene regionale Zimmerleute und Schreiner 2012 die Truberholz AG.

Im waldreichen Emmental ist die Truberholz-Produktionsstätte perfekt gelegen – rund 50 Prozent der Truber Gemeindefläche besteht aus Wald. Indem die Landwirtinnen und Landwirte das gefällte Holz direkt zur Weiterverarbeitung an Truberholz verkaufen, bleiben die Transportwege kurz und die Wertschöpfung in der Region. Neben der hohen Qualität ist für die Kundinnen und Kunden der Firma Truberholz die Regionalität des Holzes ein wichtiger Faktor. Im Emmental sind die Menschen stark in ihrer Heimat verwurzelt.

Häuser aus Truberholz benötigen nicht nur weniger Energie bei der Herstellung, sondern haben auch einen weiteren Vorteil für das Klima: Beim Verbauen von Holz wird das einmal vom Baum gebundene CO2 für mehrere Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte dem natürlichen Kreislauf entzogen. Ausserdem kann bei dieser ökologischen Bauart auch Holz verbaut werden, das optisch keine Topqualität hat; Bei den Wänden spielt es keine Rolle, wie das Massivholz hinter der Verkleidung aussieht.

Der Aspekt des Klimaschutzes habe über die letzten Jahre eindeutig an Bedeutung gewonnen, sagt Christian Marty von Truberholz: «Heute spielt die politische Position in dieser Frage kaum mehr eine Rolle. Der Klimawandel ist auch in bürgerlich geprägten Regionen wie dem Emmental keine Glaubensfrage mehr, sondern eine Tatsache.» Es zeige sich daher immer mehr, dass man mit dem Verarbeiten und Verbauen von regionalem Holz einen zukunftsträchtigen Weg eingeschlagen habe.

Mehr zur Klimapionierin Truberholz AG: www.truberholz.ch

Bauen für die Zukunft

Dass es sich beim Mehrfamilienhaus an der Unterdorfstrasse in Brütten im Kanton Zürich nicht um einen gewöhnlichen Neubau handelt, zeigt sich schon daran, dass es 2016 von der damaligen Bundesrätin Doris Leuthard persönlich eingeweiht wurde. Es handelt sich in der Tat um das erste Mehrfamilienhaus der Welt, das ohne externe Energie wie Strom, Öl oder Erdgas und auch ohne Cheminée auskommt. Möglich machen das unter anderem hocheffiziente Solarpanels, diverse Speicher im und unter dem Gebäude sowie maximale Energieeffizienz.

Entworfen wurde das Gebäude von der René Schmid Architekten AG. Das Architekturbüro hatte einige Jahre zuvor auch den Bau der Umwelt Arena Schweiz realisiert. Diese wurde 2012 in Spreitenbach im Kanton Aargau eröffnet und bietet seither eine Ausstellungsplattform für Nachhaltigkeitsthemen und Events. Mit ihren verschiedenen Photovoltaik-, Solarthermie- und Windkraft-Anlagen und der Nutzung von Wärme aus der Luft, der Erde und dem Grundwasser deckt die Umwelt Arena übers Jahr gesehen ihren gesamten Energiebedarf.

Gemeinsam mit ihren Ausstellungspartnern hat die Stiftung Umwelt Arena Schweiz in Spreitenbach bis heute mehrere Leuchtturmprojekte moderner Bauweise realisiert, darunter auch das erwähnte energieautarke Mehrfamilienhaus in Brütten.

Die Wohnbauprojekte der Umwelt Arena zeigen mit ihrer energieeffizienten Bauweise auf, wie die Energiestrategie 2050 bereits heute umgesetzt werden kann. Die Technologien sind vorhanden, das Knowhow muss nur konsequent genutzt und intelligent kombiniert werden.

Der persönliche Antrieb des Architekten René Schmid ist seine Leidenschaft für die Gestaltung von hochwertigem Lebensraum, der im Einklang mit Mensch und Umwelt steht. Mit seinen Bauwerken will er aufzeigen, dass zukunftsorientierte und nachhaltige Projekte bereits heute gewinnbringend realisierbar sind. Das gelingt ihm auch hervorragend: Sowohl die Umwelt Arena in Spreitenbach als auch das energieautarke Mehrfamilienhaus wurden mehrfach ausgezeichnet.

Für sein neuestes Projekt – eine CO2-neutrale Überbauung in Männedorf – erhielt sein Architekturbüro 2021 vom Bundesamt für Energie die Auszeichnung Watt d’Or, das Gütesiegel für Energieexzellenz.

Mehr zur Klimapionierin René Schmid Architekten AG: www.reneschmid.ch

Mehr zur Stiftung Umwelt Arena Schweiz: www.umweltarena.ch

Nachverdichten statt neubauen

Die Schweizer Architektur- und Baubranche ist äusserst abrissfreudig. Um das Bauland besser auszunutzen und mehr moderne Wohnungen anbieten zu können, werden viele Gebäude und Siedlungen zerstört und durch Neubauten, sogenannte Ersatzneubauten, ersetzt. Diese verursachen im Betrieb zwar meist weniger CO2 als alte Häuser. Doch das Bauen selbst benötigt soviel Energie, dass es fast immer sinnvoller ist, bestehende Gebäude lediglich zu renovieren.

Wie das geht, zeigen verschiedene Projekte von Salathé Architekten Basel. Statt ein altes Stadthaus durch ein neues und grösseres zu ersetzen, erweiterten sie es mit einem aufgesetzten Holzbau um eine zusätzliche Maisonette-Wohnung. Durch dieses sogenannte Nachverdichten entsteht zusätzlicher Wohnraum, ohne dass historische Bausubstanz verloren geht.

«Ein sachter Umgang mit bereits bestehenden Gebäuden war mir schon immer wichtig», sagt Dominique Salathé, der das Büro 1997 (damals sabarchitekten*) mitbegründete. Das Thema Nachhaltigkeit sei in den letzten Jahren aber nochmals viel stärker ins Zentrum gerückt, stellt er fest.

«Wir können uns nicht um dieses Thema herumdrücken», meint auch Geschäftsleitungsmitglied Jakob Schneider. «Als Architekten müssen wir uns der Auswirkungen unseres beruflichen Handelns auf den Klimawandel bewusst werden und unseren Handlungsspielraum nutzen.»

Neben dem Nachverdichten spielen auch Um- und Zwischennutzungen eine wichtige Rolle. Als die Rennbahnklinik 2014 in einen grösseren Neubau umzog, bauten die Architekten das alte Gebäude zu einem Studentenwohnheim mit insgesamt sechzig Wohnungen um. So wird ein langjähriger Leerstand verhindert und der ehemalige Klinikbau mit neuem Leben gefüllt.

Mehr zu den Pionierprojekten von Salathé Architekten Basel: www.salathearchitekten.ch

© Atelier Fontana, Basel

 *1997-2016 sabarchitekten, ab 2016 Umfirmierung in Salathé Architekten Basel

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«Statt nur zu reden, wollte ich selber etwas gegen den CO2-Ausstoss unternehmen», sagt der Landwirt Franz Keiser. Der 63-Jährige führt in Neuheim im Kanton Zug den Hof Wies. Im Jahr 2011 begann er, an der Produktion von Pflanzenkohle zu tüfteln. Die Idee: Baum- und Strauchschnitte aus der Region zu hochwertiger und klimafreundlicher Pflanzenkohle zu verarbeiten.

Mehr zum Klimapionier Franz Keiser: https://hof-wies.ch/

Verpassen Sie nicht, was die Zukunft noch alles bringt.

Um die Ära der fossilen Energien zu beenden, hat der Verein Klimaschutz Schweiz die Gletscher-Initiative lanciert. Im Herbst 2022 wurde die Initiative zugunsten eines indirekten Gegenvorschlags zurückgezogen. Die Schweizer Stimmbevölkerung wird voraussichtlich im Juni 2023 darüber abstimmen. Abonnieren Sie unseren Newsletter, um auf dem Laufenden zu bleiben.