27. April 2022

Ohne CO2-Senken keine Netto-Null-Schweiz

| von Dr. Cyril Brunner

Eines ist klar: Um die Erderhitzung auf 1.5°C beschränken, müssen wir unsere Treibhausgasemissionen schnellstmöglichst auf Netto-Null bringen. Dafür müssen wir unseren Treibhausgasausstoss reduzieren, indem wir zum Beispiel fossile Rohstoffe durch erneuerbare ersetzen. Zusätzlich setzen jedoch alle Klimastrategien auch auf sogenannte Treibhausgassenken. Unter Treibhausgassenken oder auch «Negativemissionstechnologien» (NET) versteht man eine Reihe verschiedener Methoden, wie man der Atmosphäre Treibhausgase entzieht.

Es gibt aber auch Vorbehalte und Befürchtungen betreffend NET, für die es oft keine guten Gründe gibt. Das hat meistens mit falschen Informationen und Vorstellungen zu tun. Die Leute stellten sich beispielsweise vor, dass CO2 in grossen unterirdischen Höhlen gespeichert werden sollte. Wenn es dann einen Riss im Boden gäbe, würden wir alle ersticken, so die Vorstellung. 

Ich machte es mir zur Aufgabe gegen solche Wissenslücken anzukämpfen. Seither setze ich mich für die Wissenschaftskommunikation zu Treibhausgassenken ein. Denn auch wenn wir unsere Emissionen stark reduzieren müssen: Es werden gewisse Restemissionen bleiben, die sich nicht vermeiden lassen. Um die Erderhitzung einzudämmen, muss unser CO2-Ausstoss aber auf Netto-Null sinken. Und für Netto-Null sind Treibhausgassenken unabdingbar, wie auch der dritte Teil des neuesten IPCC-Berichts bestätigt.

Technische versus natürliche Senken
Lange war es geläufig, negative Emissionen in natürliche und technische Treibhausgassenken zu unterteilen. Obwohl diese Klassifizierung nicht unproblematisch ist, wird sie nach wie vor zu oft verwendet. Aufforstungsprojekte, Humusaufbau in Böden oder Moorrenaturierungen sind Beispiele für natürliche Senken. Zu den technischen Treibhausgassenken gehört z.B. die Entnahme und Speicherung von CO2 direkt aus der Luft. So kommt oft in Gesprächen die Frage auf, ob natürliche Treibhausgassenken besser sind als technische. Klassifizierung hin oder her, meine Antwort gilt ungeachtet:

Natürliche Ökosysteme wie Böden, Wälder oder Moore sind unabdingbare Teile des Erdsystems. Sie ermöglichen das Leben auf unserem Planeten. Daher sollten wir diese Ökosysteme nicht mit der vordergründigen Vision einer Treibhausgassenke beeinflussen und optimieren. Vielmehr sollten wir versuchen, diese Ökosysteme möglichst intakt zu halten. Dadurch wirken die Ökosysteme vielleicht nebenbei als Treibhausgassenken, was umso besser ist.

Anders als erwartet haben technische Treibhausgassenken oft geringere Auswirkungen auf die Umwelt als natürliche. Beispielsweise brauchen Maschinen, die CO2 direkt aus der Luft nehmen, deutlich weniger Fläche und Wasser als etwa ein neuer Wald. Zum Vergleich: Eine Maschine so gross wie der Zürcher Hauptbahnhof nimmt ca. einen Zwölftel so viel CO2 auf, wie der gesamte Schweizer Wald. Und dieser bedeckt immerhin 31 Prozent der Gesamtfläche der Schweiz.

Doch brauchen diese Maschinen nicht Unmengen Energie und sind sehr teuer? Ja, und daher ist auch ihr Potenzial – genau wie jenes der natürlichen Senken – kurz- und mittelfristig sehr beschränkt. In gewissem Sinn sind hohe Preise aber auch gut. Emissionen auszugleichen sollte nicht möglichst günstig sein. Ähnlich wie beim Abfall oder dem Abwasser sollten die Verursacher für die «Entsorgungskosten» aufkommen. So ergibt sich ein Anreiz, emissionsfreie oder -arme Alternativen zu wählen, weil der Ausgleich hoher Emissionen in den meisten Fällen teurer wäre. CO2 erhält damit gewissermassen einen Preis, wie ihn ja bereits viele fordern.  

Die beste Treibhausgassenke
Bei Diskussionen um Treibhausgassenken kommt auch immer wieder die Frage auf, welches die beste Art ist, der Atmosphäre CO2 zu entziehen und dauerhaft zu speichern.

Ich antworte darauf oft mit einer Gegenfrage: Ich frage die Person, welches denn ihr Lieblingsessen ist und ob sie sich nur noch davon ernähren will. Gut, bei Kindern kann diese Frage nach hinten losgehen. Aber glücklicherweise stellen Kinder auch selten Fragen zu Treibhausgassenken. Den meisten wird durch die Frage klar, dass eine Vielfalt oft besser ist, als sich nur auf eine Option zu konzentrieren.

So ist es bei unserer Nahrung, der Biodiversität, aber auch bei Treibhausgassenken. Wenn wir eine Treibhausgassenke im kleinen oder mittleren Massstab einsetzen, hat sie in der Regel kaum nachteilige Umwelteinflüsse. Versuchen wir hingegen die Treibhausgassenke im grossen Stil zu betreiben, nehmen schädliche Umwelteinflüsse meist zu. Ein gutes Beispiel dafür sind negative Emissionen aus Biomasse. Biomasse kann beispielsweise zu Pflanzenkohle verarbeitet und verwertet werden und speichert durch diesen Prozess einen Teil des CO2, das die Pflanze zuvor der Atmosphäre entzogen hat (mehr dazu im Blogbeitrag zu Pflanzenkohle).

Irgendwann ist der Anteil der Biomasse, den wir problemlos für negative Emissionen brauchen können, aber erschöpft. Um noch mehr Pflanzenkohle herzustellen, muss entweder weniger Biomasse für andere Zwecke genutzt oder mehr Biomasse produziert werden. Letzteres führt jedoch zu einer Vielzahl an Problemen: So könnten z.B. Pflanzen zur Gewinnung von Biomasse auf Flächen angebaut werden, die eigentlich für den Nahrungsmittelanbau vorgesehen waren, einer indigenen Bevölkerung gehörten oder quasi unversehrte Natur waren. Wenn wir zu stark auf eine einzige Art von Treibhausgassenke setzen, kann eine an sich sehr sinnvolle Anwendung also plötzlich hochproblematisch werden.

Es gibt noch viel Spannendes rund um Treibhausgassenken zu diskutieren. Es ist unerlässlich, dass wir diese Diskussionen jetzt führen. Denn ohne Treibhausgassenken gelangt Netto-Null und damit die Stabilisierung des globalen Klimas ausser Reichweite. Gleichzeitig dürfen wir nicht vergessen: Treibhausgassenken sind kein Ersatz zur konsequenten Reduktion unserer Treibhausgasemissionen. Aber sie sind eine unvermeidbare Ergänzung dazu. Denn gegen die schwer vermeidbaren Restemissionen sind Treibhausgassenken das einzige Mittel.

Dr. Cyril Brunner

Cyril Brunner ist Klimawissenschaftler und forscht an der ETH Zürich zu negativen Emissionen dem Netto-​Null-Konzept.

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