Die neuesten Zahlen zur Reduktion der Treibhausgasemissionen zeigen: Trotz warmem Winter und strenger Pandemiemassnahmen verfehlt die Schweiz ihr Klimaziel für 2020. Mit rund einem Drittel der inländischen CO2-Emissionen ist der Gebäudesektor der zweitgrösste Emittent in der Schweiz – nach dem Transportsektor und vor der Industrie.
Zwar konnten vor allem Emissionen neuer Gebäude durch verbesserte Energieeffizienz und den Ersatz von Öl- und Gasheizungen, z.B. durch Wärmepumpen, reduziert werden. Allerdings wird weiterhin fast die Hälfte aller Gebäude mit Erdöl beheizt. Selbst bei Sanierungen alter Gebäude wird teilweise noch auf fossile Brennstoffe gesetzt. Gerade auch der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hat die Abhängigkeit von Heizöl und Erdgas im Gebäudesektor offengelegt.
Barrieren gegen eine schnelle Dekarbonisierung des schweizerischen Gebäudeparks
Emissionsreduktionen im Gebäudesektor zu beschleunigen ist aus mehreren Gründen kein leichtes Vorhaben. Der Gebäudesektor ist durch lange Investitionszyklen gekennzeichnet: Wer heute eine Erdölheizung kauft, bleibt für mehrere Jahre oder gar Jahrzehnte abhängig von fossilen Brennstoffen.
Ausserdem ist die Bauindustrie komplex, mit zahlreichen lokalen Akteuren und individuell zugeschnittenen Projekten. Jedes Gebäude ist einzigartig und das bei einem Gebäudepark von ca. 2,8 Millionen Wohn- und Nichtwohnbauten. Das erschwert die Standardisierung und Regulierung des Sektors.
Schliesslich gibt es auch starke Interessengruppen, die sich für den Status Quo einsetzen. Beispielsweise hatte der Hauseigentümerverband (erfolglos) das Referendum gegen das neue Energiegesetz in Zürich ergriffen: Die dort verankerten Massnahmen zum Heizungsersatz in Gebäuden gingen dem Verband zu weit. Aufgrund dieser und anderer Barrieren im Gebäudesektor sind ambitionierte politische Massnahmen umso wichtiger für eine effektive und schnelle Dekarbonisierung.
Zahlreiche Politikmassnahmen zielen auf die Dekarbonisierung des Gebäudesektors
Die Politik hat mehrere Hebel für eine Dekarbonisierung in der Hand – besonders auf kantonaler, aber auch nationaler und lokaler Ebene. Die Illustration unten veranschaulicht die unterschiedlichen politischen Instrumente und ihre Wirkung auf den Gebäudesektor. Zu sehen ist eine stilisierte Verteilung des schweizerischen Gebäudeparks der Gegenwart (orange, durchgezogene Linie). Sie zeigt: In der Schweiz gibt es relativ gesehen wenige Gebäude mit sehr hohen, viele Gebäude mit mittleren, und wenige Gebäude mit sehr niedrigen Emissionen.
Das Ziel ambitionierter Klimapolitik muss sein, diese Verteilung in Zukunft nach rechts zu verschieben (orange, gestrichelte Linie – also mehr Gebäude mit niedrigeren Emissionen zu bewirken. Um das zu erreichen, kann die Politik sowohl «Peitsche» als auch «Zuckerbrot» anwenden. Bereits heute gibt es mehrere Massnahmen, die auf eine Dekarbonisierung des Gebäudesektors hinwirken:
- Stand Dezember 2021 haben 18 der 26 Kantone die neuesten kantonalen Gebäudestandards auf Basis der Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich (MuKEn) in kantonales Recht umgesetzt. Wie eine Studie im Auftrag des WWF zeigt, gibt es grössere Unterschiede in der Ausgestaltung der MuKEn. Das gilt zum Beispiel für den Heizungsersatz. In Neuenburg und Glarus ist der Ersatz fossiler Heizungen in Wohnbauten verboten. In 13 anderen Kantonen bedarf es hingegen nur eines 10-20-prozentigen Anteils an erneuerbaren Energien.
- Auf kantonaler Ebene werden die Standards mit dem sogenannten Gebäudeenergieausweis der Kantone (GEAK) ergänzt, der die Energieklasse von Gebäudehülle und -technik bewertet und in sieben Klassen einteilt.
- Auf nationaler Ebene wird der Gebäudepark vor allem durch die CO2-Abgabe auf Brennstoffe beeinflusst. Momentan beläuft sich die Abgabe auf Heizöl und Erdgas auf 120 CHF/Tonne CO2.
Zentrale politische Instrumente für die Dekarbonisierung des schweizerischen Gebäudesektors (Quelle: Schmid et al. 2021)
Neben der Peitsche verfügt die Politik auch über das Zuckerbrot:
- Auf Gemeinde- und Lokalebene existieren verschiedene wirtschaftliche Anreize für klimafreundlichere Gebäude. Diese werden unter anderem über die lokalen Energieversorgungsunternehmen gewährleistet. Das Elektrizitätswerk der Stadt Zürich (ewz) verteilt beispielsweise sogenannte 2000-Watt-Beiträge zur Förderung von Wärmepumpenanlagen oder thermischen Sonnenkollektoren.
- Das Gebäudeprogramm des Bundes und der Kantone verteilt Fördergelder für bauliche Massnahmen, wie der Wärmedämmung der Gebäudehülle oder dem Ersatz fossiler Heizungen durch erneuerbare Energien oder Anschluss an ein Wärmenetz. Finanziert wird das Programm unter anderem durch die CO2-Abgabe.
- Das Minergie-Label ist ein freiwilliger Standard, der an Gebäude mit sehr hohem Effizienzgrad und maximalem Anteil erneuerbarer Energien vergeben wird – also an Gebäude, die sich rechts unten in der Normalverteilung in Illustration 1 befinden. Neben Komfort und Reduktion von Emissionen entsteht für Eigentümer dabei auch ein erhöhter Marktwert des Gebäudes.
- Schliesslich gibt es auf nationaler Ebene Einmalvergütungen für Investitionen in erneuerbare Energie-Projekte, unter anderem auch für kleine Solaranlagen auf Hausdächern.
Ambitioniertere Politikmassnahmen sind nötig, um die Klimaziele zu erreichen
Es gibt also schon zahlreiche Politikmassnahmen und Instrumente, die sowohl fordernd als auch fördernd auf einen Wandel im Gebäudesektor wirken. Eine ETH-Studie zeigt, dass die Instrumente in der Vergangenheit teilweise verbessert und verschärft wurden. Aber reichen diese Verschärfungen aus? Wie das aktuelle Verfehlen der Klimaziele zeigt: Nein. Um im Einklang mit dem 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimabkommens zu sein, müssen die Emissionen im Gebäudesektor bis 2050 auf null sinken. Dafür rechnet das Bundesamt für Energie (BFE) bis ins Jahr 2050 unter anderem mit der Verfünffachung der Anzahl Wärmepumpen von aktuell 300’000 auf 1,5 Millionen.
Zwar scheint 2050 noch weit weg. Angesichts der langen Investitionszyklen im Gebäudesektor ist jedoch dringend Handlungsbedarf angezeigt: Im Kanton Zürich wurde 2021 beispielsweise immer noch jede zweite Öl- oder Gasheizung durch eine neue Öl- oder Gasheizung ersetzt. Eine weitere Lücke in der aktuellen Gesetzgebung sind die sogenannten grauen Emissionen. So bezeichnet man Emissionen, die beim Bau entstehen und in den Materialien stecken. Zwar gibt es Ansätze, diese grauen Emissionen zu berücksichtigen. Aber von einer Regulierung oder grosszügigen Förderung klimafreundlicher Baumaterialien (wie z.B. Holz) ist man aktuell noch weit entfernt.
Hinzu kommt ein weiteres Manko der aktuellen Politikmassnahmen: Die meisten Instrumente kommen effektiv nur bei neuen Gebäuden oder bei Sanierungen alter Gebäude zum Zug. Bei einer gleichbleibenden Sanierungsrate von derzeit ca. 1 Prozent pro Jahr bedeutet das: Grössere Emissionsreduktionen im Gebäudesektor werden Jahrzehnte dauern. Dementsprechend sind die schweizerischen Klimaziele gefährdet.
Angesichts dieser Herausforderungen brauchen wir deutlich mehr Ambition bei den aktuell bestehenden Politikinstrumenten sowie auch innovative neue Ansätze. Die absehbare Neuauflage der MuKEn (die letzte Version ist von 2014) oder aktuelle Debatten über mehr Energieunabhängigkeit im Zuge des Kriegs in der Ukraine könnten Gelegenheit für eine ambitionierte und mutige Politik bieten.
Dr. Nicolas Schmid forscht und lehrt an der ETH Zürich zu Klima- und Energiepolitik