12. Mai 2022

Ist die Klima-Kompensation zukunftsfähig?

| von Anja Kollmuss

Die Schweiz ist eines der wenigen Länder, die nach wie vor einen beträchtlichen Anteil ihrer Treibhausgasreduktionen im Ausland kaufen will, um ihre Klimaziele zu erreichen. Dazu hat sie bereits mehrere bilaterale Abkommen abgeschlossen. Die Grundidee dieser sogenannten Klima-Kompensation: Anstatt unsere Treibhausgasemissionen selber zu reduzieren, kaufen wir Emissionsreduktionen. Klimaprojekte wie zum Beispiel Wind- und Solaranlagen oder Aufforstungsprojekte im Ausland erhalten für ihre Emissionsreduktionen Zertifikate. Diese können sie dann wiederum an Länder, Firmen oder Privatpersonen verkaufen, die sich diese Reduktionen an ihre Klimaziele anrechnen.

Emissionen kompensieren oder reduzieren?

Ist es sinnvoll, solche Klimaprojekte im Ausland zu finanzieren? Theoretisch schon. Denn in ärmeren Ländern können Emissionen oft günstiger reduziert werden als in der Schweiz. Doch die Realität ist komplexer: Drei von vier Zertifikaten haben keine oder weniger Emissionsreduktionen bewirkt, als sie behaupten. Die Mehrzahl der Projekte waren bereits geplant oder gebaut und brauchten gar keine Finanzierung mehr. Käufer solcher Zertifikate lassen sich also Emissionsreduktionen anrechnen, die sie in Wahrheit gar nicht finanziert haben. Das führt unter dem Strich zu mehr Emissionen, als wenn man diese selber reduziert hätte.

Strengere Regeln können die Qualität der Zertifikate verbessern – aber nur zu einem gewissen Grad. Die zukünftigen internationalen CO2-Märkte werden im Artikel 6 des Pariser Klimaabkommens geregelt. Diese Regeln sind gar nicht so schlecht. Doch auch sie enthalten noch Schlupflöcher, die den Klimaschutz untergraben könnten.

Hinzu kommt: Wenn wir die Erderhitzung auf deutlich unter 2 Grad Celsius beschränken wollen, müssen alle Länder bis spätestens Mitte des 21. Jahrhunderts ihre Emissionen auf netto Null reduzieren. Das heisst, auch die Schweiz muss ihre Emissionen massiv und möglichst rasch senken. Reduktionen im Ausland – selbst wenn sie tatsächlich stattfinden – sind dazu keine Alternative. Durch den CO2-Zertifikatehandel schieben wir das Problem weiter auf, anstatt die dringend nötigen Veränderungen in der Schweiz anzugehen.

Mehr Klimafinanzierung statt Klimakompensation

Im Pariser Klimaübereinkommen von 2015 verpflichten sich die Industriestaaten, gemeinsam ab 2020 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr für Klimschutzmassnahmen und die Anpassung an den Klimawandel für ärmere Länder bereitzustellen. Im Unterschied zur Klimakompensation werden bei dieser sogenannten Klimafinanzierung keine Emissionsreduktionen gutgeschrieben.

Bislang belaufen sich die Schweizer Ausgaben für den internationalen Klimaschutz auf 300 – 400  Millionen Schweizer Franken pro Jahr. Klima- und Entwicklungsorganisationen sind jedoch der Meinung, dass die Schweiz jährlich mindestens 1 Milliarde Franken pro Jahr in die Klimafinanzierung investieren sollte. Denn die Schweiz hat einen überdurchschnittlich grossen Klima-Fussabdruck und gleichzeitig viel mehr finanzielle Mittel als andere Länder.

Welche finanziellen Dimensionen wirklich etwas bewegen können, zeigt ein Beispiel aus Deutschland: Einige Jahre lang gab Deutschland rund 20 Milliarden Euro für Einspeisevergütungen von Solarstrom aus. Dadurch wurden die Preise für Solarstrom nachhaltig und weltweit gesenkt. Mit dieser Art der Klimafinanzierung können reichere Nationen viel effektiver zum klimafreundlichen Wandel im In- und Ausland beitragen als durch Klima-Kompensation.

Unsere Verantwortung wahrnehmen

Die Schweiz hat also sehr wohl eine Verantwortung, ihre Emissionen auch im Ausland zu senken. Denn unsere pro Kopf Emissionen gehören zu den höchsten der Welt. Ausserdem haben wir eine deutlich grössere Wirtschaftskraft, als viele andere Länder. Wie müssen unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaft in den nächsten knapp 30 Jahren durchgehend klimaverträglich umgestalten. Das ist eine Herausforderung, an der kein Weg vorbeiführt. Durch Klimafinanzierung statt -kompensation kann die Schweiz viel zum klimafreundlichen Wandel im In- und Ausland beitragen.

Auch auf individueller Ebene gibt es Handlungsmöglichkeiten: Wir können unsere eigenen Vermögen und Vorsorgegelder ökologisch nachhaltig anlegen. Und wir können den nötigen politischen Wandel vorantreiben, indem wir uns in entsprechenden Organisationen engagieren oder sie finanziell unterstützen.

Anja Kollmuss

Anja Kollmuss ist unabhängige Klimapolitikberaterin und mit dem Stockholm Environment Institute affiliiert.

Foto:  Thomas Hodel

ZUM ERSTEN MAL HIER? STARTEN SIE EINE ZEITREISE IN DIE KLIMANEUTRALE SCHWEIZ DER ZUKUNFT.