6. April 2022

Die Klimakrise als Chance für die Baukultur

| von Andres Herzog, MSc. ETH

Um den Klimawandel einzudämmen, müssen wir unsere Aufmerksamkeit auf jene Bereiche fokussieren, die besonders ins Gewicht fallen und wo wir jetzt handeln können. Dazu gehört unter anderem die Baubranche. Denn der Bau und Betrieb von Gebäuden ist in der Schweiz für ein Drittel und weltweit für vierzig Prozent des menschgemachten CO2-Ausstosses verantwortlich.Wie viele Kilogramm Treibhausgase ein Bauvorhaben verursacht, ist die Gretchenfrage des Bauens im 21. Jahrhundert. Eine Architektur, die darauf keine Antwort hat, ist nicht mehr relevant.

Klimagerechtes Bauen heisst: Es geht nicht in erster Linie um die Betriebsenergie von Gebäuden, sondern um alle Treibhausgase, die ein Bau verursacht. Letztere bezeichnet man auch als «graue Emissionen». Bei einem vorbildlichen Neubau fallen mehr als 70 Prozent der Emissionen bei der Erstellung und nur knapp 30 Prozent im Betrieb an. Die Architekten spielen bei der CO2-Reduzierung der Baubranche also eine Hauptrolle. Gleichzeitig braucht es auch ökonomische und politische Mechanismen, um das CO2-Problem bei der Gebäudeerstellung in den Griff zu bekommen. Der Betrieb eines Gebäudes ist gesetzlich geregelt. Wie viel graue Treibhausgase die Erstellung verursacht, überlässt der Staat jedoch dem Markt.

Die Ökobilanzierung – also die Analyse der Umwelt- und Klimaauswirkungen von Bauvorhaben – ist keine exakte Wissenschaft. Entscheidend sind aber nicht die Stellen hinter dem Komma, sondern die grossen Hebel. Das Buch «Klima bauen» der Edition Hochparterre zeigt, wo diese Hebel liegen und wie man sie bedienen kann. Setzen die Architekten auf allen Ebenen der Konstruktion an – insbesondere bei der Gebäudegeometrie, der Tragstruktur und der Fassade –, können sie die Treibhausgase um rund ein Drittel reduzieren.

Die allergrössten Hebel liegen aber in der Raumplanung: Wo wir wohnen, arbeiten und unsere Freizeit verbringen, wirkt sich gleich mehrfach auf unsere CO2-Bilanz aus. Am meisten Treibhausgase sparen wir ohnehin, indem wir weniger abreissen und neu bauen. Dafür sollten wir die bereits bestehenden Gebäude besser nutzen. In der Landschaftsarchitektur geht es zusätzlich auch um die Klimaanpassung: Wir müssen die Vegetation für künftig höhere Temperaturen und anderes Wetter auswählen.

Wer emissionsfrei entwerfen will, muss seine Gewohnheiten hinterfragen. Die postfossile Architektur sieht anders aus – vom Fundament bis zum Dach. Architektinnen sollten diesen Wandel als Chance begreifen und mit Lust und Kreativität anpacken. Gleichzeitig ist ein sachlicher Blick nötig. Es geht nicht darum, Materialien gegeneinander auszuspielen oder eine Konstruktion zur einzig möglichen Lösung hochzustilisieren. Am Ende zählen die nackten Zahlen zu den Treibhausgasen, egal, wie man letztere loswurde.

 

Dieser leicht gekürzte Text stammt aus dem Buch «Klima bauen», das 2021 in der Edition Hochparterre erschienen ist und das rund 80 Klimatipps zu Architektur, Landschaftsarchitektur und Raumplanung versammelt.

 

Andres Herzog, MSc. ETH

Andres Herzog hat an der ETH Zürich Architektur studiert und ist Co-Geschäftsleiter und Redaktor bei der Zeitschrift für Architektur, Planung und Design «Hochparterre».

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