Die Schweiz ist ein Land der Vielflieger: Rund 27 Prozent der klimaschädlichen Emissionen gehen hierzulande auf das Konto des Flugverkehrs. Und die Prognosen für die Entwicklung des Flugverkehrs zeigen dabei sowohl national als auch global nach oben.
Synthetische Treibstoffe versprechen eine technische Lösung zur Reduktion der klimaschädlichen Flug-Emissionen. Wasser und CO₂ aus der Umgebungsluft können mittels erneuerbarer Energie zu CO₂-neutralem Treibstoff synthetisiert werden. Bei dessen Verbrennung wird nur so viel CO₂ freigesetzt, wie zuvor der Luft entnommen wurde.
Noch ist man aber weit davon entfernt, den heutigen Flugverkehr allein mit fossilfreiem Kerosin zu betreiben. Ausserdem emittieren Flugzeuge auch mit CO₂-neutralem Treibstoff weiterhin Wasserdampf, der in der Stratosphäre ebenfalls als Treibhausgas wirkt. Hinzu kommen Stickoxide, Schwefeldioxid und Russpartikel, die das Klima ebenfalls beeinflussen können. Damit klimaneutrales Fliegen möglich ist, muss der Klimaeffekt dieser Gase mit Negativemissionstechnologien (NET) ausgeglichen werden (mehr zu NETs in diesem Blogartikel).
Bleibt eine drastische Reduktion des heutigen Flugverkehrs also doch die einzige Lösung, um bis 2050 klimaneutral zu werden? Wir haben zwei Experten auf diesem Gebiet gefragt. Anthony Patt ist Professor für Climate Policy an der ETH Zürich und beschäftigt sich in seiner Forschung damit, mit welchen politischen und technischen Massnahmen das Netto-Null-Ziel möglichst rasch erreicht werden kann. Yves Chatton amtet als Geschäftsführer von KLUG, der Koalition für Luftverkehr, Umwelt und Gesundheit, welche sich für eine Reduktion des Flugverkehrs in der Schweiz einsetzt. Im Doppelinterview erklären die beiden, wie sie sich die Zukunft des Reisens vorstellen.
Anthony Patt, Sie halten es für gut möglich, im Jahr 2050 klimaneutral und zu beinahe gleichen Preisen wie heute fliegen zu können. Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung?
Patt: Grundsätzlich glaube ich, dass wir auch in Zukunft nicht aufs Fliegen verzichten wollen. Deshalb brauchen wir technische Lösungen wie synthetische Treibstoffe für einen klimaneutralen Flugverkehr. Die Technologien dafür sind vorhanden. Wir dürfen aber nicht unterschätzen, welche Investitionen und Massnahmen nötig sein werden, damit sie auch bezahlbar und in genügend grossen Mengen zur Verfügung stehen werden. Kurz gesagt: Klimaneutrales Reisen ist möglich, wenn wir uns als Gesellschaft bewusst dafür entscheiden.
Yves Chatton, Ihre Organisation KLUG fordert eine Einschränkung des Flugverkehrs, um die Flugemissionen zu reduzieren. Weshalb überzeugt Sie die Argumentation von Herrn Patt nicht?
Chatton: Die technischen Möglichkeiten, die Herr Patt erwähnt, sind sicher ein Teil der Lösung. Aber sie werden nicht ausreichen, um die Zwischenziele auf dem Weg zu Netto-Null 2050 zu erreichen. Dafür können die synthetischen Treibstoffe nicht schnell genug in einem genügend grossen Umfang bereitgestellt werden. Gerade in den nächsten zehn Jahren brauchen wir andere Lösungen, um die Flugemissionen signifikant zu reduzieren. Und wird dürfen auch nicht unterschätzen, wie viel erneuerbare Energie wir für die Herstellung klimaneutraler Treibstoffe zusätzlich brauchen.
Patt: Da stimme ich Herrn Chatton grösstenteils zu. Eine radikale Veränderung des Energiesystems ist nötig, um genügend erneuerbare Energie für die Herstellung der synthetischen Treibstoffe zu erzeugen. Das braucht Zeit und deshalb werden wir in den nächsten 10 bis 20 Jahren mit synthetischen Treibstoffen noch keine grosse Reduktion der Flugemissionen erzielen. In anderen Bereichen wie dem Strassenverkehr oder dem Gebäudesektor sieht es hingegen anders aus: Dort haben wir bereits heute alle technischen Möglichkeiten, um in den nächsten Jahrzehnten klimaneutral zu werden. Trotzdem ist es wichtig, dass wir bereits jetzt die nötigen Schritte unternehmen, damit klimaneutrales Fliegen bis 2050 möglich und bezahlbar wird.
Welche Massnahmen braucht es dafür konkret?
Patt: Eine Möglichkeit sind gezielte Fördermassnahmen wie Quoten für das Beimischen von synthetischen Treibstoffen. Fluggesellschaften sollten verpflichtet sein, einen bestimmten Prozentsatz an klimaneutralem Kerosin zu tanken. Auch Subventionen für die Entwicklung dieser alternativen Treibstoffe. Eine zweite Möglichkeit sind Lenkungsabgaben. Doch ich bezweifle, dass diese hoch genug angesetzt werden können, damit sie wirklich griffig sind. Dazu fehlt wohl die Akzeptanz in der Bevölkerung.
Herr Chatton, für welche politischen Massnahmen setzen Sie sich ein?
Chatton: Grundsätzlich ist es wichtig, dass der Flugverkehr überhaupt erst in die Klimaziele miteinbezogen wird. Ich unterstütze die von Herrn Patt genannten Massnahmen. Flugticketabgaben finde ich interessant, weil sie einerseits zur Reduktion von Flugreisen beitragen und gleichzeitig die notwendigen Investitionen mitfinanzieren können. Umfragen zeigen auch, dass die Leute grundsätzlich bereit wären, mehr für Flugreisen zu bezahlen. Zudem fordern wir bei KLUG mehr Transparenz über die Umweltauswirkungen des Fliegens. Auf Flugtickets oder Werbungen für Flugreisen sollte angegeben werden, welche Umweltbelastung der Luftverkehr hat.
Zum Schluss: Wie stellen Sie sich die Zukunft des Reisens vor?
Patt: Geschäftsreisen sollten deutlich reduziert werden. Viele davon sind unnötig und können problemlos durch Online-Meetings ersetzt werden. Bei den Freizeitreisen sollten die Leute bewusster entscheiden, ob die Flugreise wirklich nötig ist oder nicht. Ich kann zum Beispiel nicht verstehen, warum manche nach Kanada fliegen, um Skifahren zu gehen – die Schweizer Berglandschaft ist doch so wunderschön!
Aber klar ist auch: Wir leben in einer globalen Gesellschaft und Flugreisen wird es auch in Zukunft geben. Meine Mutter etwa lebt in den USA. Sie ist schon alt und da möchte ich sie ab und zu besuchen. Da gibt es kaum Alternativen, die praktisch und auch deutlich umweltschonender sind.
Chatton: Ich teile diese Einschätzung, der Flugverkehr muss reduziert werden. Vor allem sollte es deutlich weniger Kurzstreckenflüge geben. Denn etwa 80 Prozent der Passagiere, die von der Schweiz aus starten, haben ein Endziel in Europa. Ein grosser Teil dieser Strecken kann auch mit nachhaltigeren Verkehrsmitteln wie dem Zug zurückgelegt werden.
Es wird auch weniger Passagiere geben, die Langstreckenflüge zu Freizeitzwecken machen. Die verbleibenden Flüge werden mit erneuerbaren Flugtreibstoffen betrieben. Generell muss unsere Einstellung zum Reisen überdacht werden. «Der Weg ist das Ziel» – diesen Ansatz könnten wir uns vermehrt zu Herzen nehmen.
Yves Chatton ist Projektleiter beim VCS Verkehrsclub der Schweiz und und Geschäftsführer der KLUG Koalition für Luftverkehr, Umwelt und Gesundheit
Prof. Dr. Anthony Patt ist Professor für Climate Policy an der ETH Zürich.